Der Stoff, in dem das Leben steckt.

Die Moosacher Künstlerin Gisela Heide zeigt nur äußere Hüllen - und erzählt doch vom Menschen.

Als sei alles nur ein schönes Versehen, als hätten sie sich rein zufällig auf die Leinwand verirrt, soeben im Bild materialisiert, eine Form angenommen und ein bisschen Farbe aufgelegt. So schweben sie im Raum, diese pastellenen Luftgespenster, und wer weiß, vielleicht verschwinden sie jeden Moment wieder in jene Zwischenwelt, aus der sie kamen.
Mit ein wenig Glück bleiben sie noch eine Weile haften – denn dann sind Gisela Heides Gebilde von Freitag abend an in der SZ-Galerie zu sehen. Was die duftigen Traumgespenster der Moosacher Malerin so irritierend macht, ist vor allem eines. So unwirklich sie scheinen, besitzen sie doch eine wiedererkennbare Form: Es sind allesamt Kleidungsstücke, deren Trägerinnen unsichtbar bleiben – Haut, Arme, Hals und Kopf sind nur andeutungsweise zu sehen – die Erinnerung an die Frauenkörper aber atmet noch in den zarten, fast transparenten Hüllen.
Die Verlagerung vom Innen auf das Außen funktioniert: Denn so muss zwangsläufig die Kleidung, das Accessoire zum Erzähler werden. Das Textil wird zum Text – oder zum „Lebensgewebe“, wie Heide selbst sagt. Im Muster eines Hemds haben sich die Erinnerungen eingeschrieben, eine bunte Mädchenbluse erzählt, wie unbändig sie das Leben in sich spürt. Übergänge zwischen Körper und Außenwelt sind sind fließend: Scheinen manche Büsten buchstäblich mit allen Fasern ins Außen verwoben, wirken die Stoffe in den Siebdrucken wie eingestickt in den Außenraum. In ihren abstraktesten Versuchen überlagert die Malerin Formen als seien es übereinandergelegte Schnittmuster.
Die Arbeit mit Textilien ist der gelernten Bildhauerin nicht neu. Schon wärend ihrer Studienzeit habe sie mit Stoffen gearbeitet, erzählt die Künstlerin, die zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Mann, Stefan Heide – ebenfalls Künstler – in der Nähe von Moosach lebt. Bewegung zum einen, Verwurzelung zum anderen, so sagt sie, sei ihr wichtig. Und so mag es nicht verwundern, wenn sich beim Betrachten ihrer Bilder eben jenes Gefühl eines lockeren, ein wenig verträumten Verbundenseins mit der Welt einstellt.
1963 im Kreis Ravensburg geboren, entdeckte Gisela Heide das Thema Textilien während des Studiums der Bildenden Künste an der Münchner Akademie. Damals nähte sie 77 Kissen für die Freitreppe der Akademie. Nach ihrem Abschluss 1997 wechselte die Bildhauerin endgültig zur Malerei und absolvierte ein Aufbaustudium für Bildnerisches Gestalten und Therapie. Im Jahr 2007 gewann sie den Kunstpreis der Stadt Ebersberg. Heide hatte seit 1991 diverse Ausstellungen im Landkreis, in und um München, aber auch in Jena , Schwerin und Brüssel. Daneben unterrichtete sie am Museumspädagogischen Zentrum in München.
Das Interesse für die Kleidungsstücke aber blieb – geht es unter den Stoffen doch letztlich um die Menschen, die sich in ihnen verbergen. Wie ein „Filter“ oder eine „Lochmaske“, die die Anwesenheit eines Menschen spüren lassen, wirke die Kleiderhülle, sagt die Künstlerin. Und so wird selbst der Blick auf die Details der „Bluse mit grünen Knöpfen“ zu einer liebevollen Würdigung der individuellen Besonderheit, in der jeder Mensch sich verrät.

Lena Grundhuber
Ebersberger SZ Nr. 159, vom 10.07.08

Zurück